Studie zur Bedeutung von störungsfreien Tageseinständen für Rotwild


Die aktuelle Studie „Contrasting Daytime Habitat Selection in Wild Red Deer Within and Outside Hunting Ban Areas Emphasises Importance of Small-Scale Refuges From Humans“ (siehe Anlage) zeigt klar und wissenschaftlich belegt, dass Rotwild in stark genutzten Kulturlandschaften unter erheblichem Druck steht. Ursachen sind vor allem intensiver Tourismus, Prädatoren und ein Wildtiermanagement, das nicht ausreichend auf das natürliche Raum- und Zeitverhalten der Tiere abgestimmt ist. Daraus entstehen nachhaltige Konflikte zwischen Mensch und Wild.

Die Studie weist nach, dass Rotwild tagsüber Lebensräume meidet, in denen Begegnungen mit Menschen wahrscheinlich sind. Stattdessen nutzen die Tiere deckungsreiche und geschützte Habitate mit großem Abstand zu Wegen.

Sie macht auch deutlich, wie wichtig eine geodatenbasierte Erfassung des Raum-Zeit-Verhaltens ist. Diese Daten bilden die Grundlage, um Fragen zur Habitatnutzung zu beantworten. Bisher wurden nur fünf Tiere mit Sendern ausgestattet. Weitere Besenderungen sind notwendig, um verlässliche Ergebnisse zu erhalten. Dafür wird finanzielle Unterstützung durch Hegegemeinschaften, Naturschutz- und Jagdverbände, das Umweltministerium sowie Land- und Forstwirtschaft benötigt.

Ein zentrales Ergebnis ist die Bedeutung störungsfreier Rückzugsräume als Tageseinstand. In einer vom Menschen dominierten Landschaft reicht ein einzelnes Schutzgebiet nicht aus. Notwendig ist ein Netzwerk kleiner, störungsfreier und deckungsreicher Habitate. Nur so können die Tiere eine natürlichere Lebensraumauswahl treffen. Dafür müssen gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren Verhaltensregeln entwickelt werden, um Störungen zu vermeiden.

Besonders deutlich wird dies für die Inseln Rügen und Hiddensee. Beide sind stark durch Tourismus geprägt. Hier braucht es eine wissensbasierte Betrachtung des Rotwildes als Leitart – auch im Hinblick auf die Jagd. Dabei sind sowohl großflächige Schutzgebiete wie Nationalparke, Naturschutzgebiete und Stiftungsflächen als auch kleine störungsfreie Landschaftselemente von Bedeutung. Werden sie miteinander vernetzt, tragen sie entscheidend zur Stressminimierung des Rotwildes bei. Gleichzeitig lassen sich so Wildschäden verringern und Konflikte zwischen Mensch und Tier reduzieren.

Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn die jagdlichen Aktivitäten in das Netzwerk von Wildruhezonen integriert werden. Reviere, Hegeringe und die Hegegemeinschaft müssen das in ihrem Jagdmanagement berücksichtigen.

Die Erkenntnisse der Studie fließen in die derzeit laufende Lebensraumpotenzialanalyse des Jagdverbandes Rügen & Hiddensee ein. Diese wird wissenschaftlich von Universitäten, Hochschulen und dem Büro blfa begleitet. Am Ende soll daraus ein Konzept für eine wildtierökologische Raumplanung der Inseln entstehen. Grundlage dafür sind die Leitart Rotwild und deren Raum-Zeit-Verhalten. Ziel ist es, fachlich fundiert in die politische Diskussion um künftige Landnutzungen einzugreifen. Gleichzeitig soll das Rotwild als Leitart erhalten bleiben, die genetische Vielfalt gesichert und die Akzeptanz für Wildtiere gestärkt werden.

Ein angepasstes Jagdmanagement ist dabei eine tragende Säule. Es muss sich konsequent an den wildbiologischen Anforderungen orientieren. Nur so können die Interessen von Jagd, Naturschutz und Gesellschaft langfristig in Einklang gebracht werden.

Zusammenfassung (aus dem Englischen)

  1. Beutetiere wie der Rothirsch (Cervus elaphus) wählen ihren Lebensraum entsprechend ihren Anforderungen an die Landschaftsmerkmale aus und passen diese Auswahl an die Anwesenheit von Raubtieren und Menschen an. Es wurde untersucht, wie sich Netzwerke verschiedener Arten von Schutzgebieten – der Schweizerische Nationalpark (SNP) ohne Jagd, aber mit zusätzlichen Vorschriften für Menschen, und kleinere Jagdverbotsgebiete (hunting ban areas = HBA) – im Vergleich zu ungeschützten Gebieten auf die Tages- und Nachtlebensraumauswahl von Rothirschen auswirken.
  2. Mithilfe integrierter Schrittwahlfunktionen wurden 243 mit GPS-Halsbändern ausgestattete Tiere aus sechs Untersuchungsgebieten in den Zentralalpen hinsichtlich ihrer Lebensraumwahl bei Tag und Nacht, während des gesamten Jahres und speziell während der kurzen Herbstjagdsaison verglichen.
  3. Tagsüber mieden Rothirsche Lebensräume, in denen Begegnungen mit Menschen wahrscheinlich waren, d. h. sie wählten dichtere Baumbedeckung, größere Entfernungen zu Wanderwegen, steilere Hänge und während des größten Teils des Jahres höhere Lagen.
    Wichtig ist, dass sie im Sommer und Herbst HBA wählten. Nachts zeigten sie das gegenteilige Wahlverhalten. Dieses Tagesmuster fehlte im Untersuchungsgebiet rund um den SNP, wo die Lebensraumwahl insgesamt weniger spezifisch war. Vor allem im Sommer und Herbst wählten sie HBA. Nachts zeigten sie das gegenteilige Auswahlverhalten. Dieses tägliche Muster war im Untersuchungsgebiet um den SNP herum nicht zu beobachten, wo die Lebensraumauswahl insgesamt weniger spezifisch war. Während der Hauptjagdsaison wählten sie sowohl tagsüber als auch nachts HBA gegenüber ungeschützten Gebieten, und gleichzeitig war die Lebensraumauswahl innerhalb der HBA weniger spezifisch als außerhalb.
  4. HBAs ermöglichen es Rotwild, seinen Lebensraum weitgehend unabhängig vom Einfluss des Menschen zu wählen. Dementsprechend wurde in allen Untersuchungsgebieten mit Ausnahme der Region um das SNP eine kompensatorische Lebensraumauswahl in der Nacht aufgrund menschlicher Störungen während des Tages beobachtet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in vom Menschen dominierten Landschaften Netzwerke kleiner HBAs eine natürlichere Lebensraumauswahl der Tiere unterstützen können, insbesondere wenn zusätzliche Vorschriften für den Menschen gelten.
Abstract aus Rempfler, T. et al. (2025): Contrasting Daytime Habitat Selection in Wild Red Deer Within and Outside Hunting Ban Areas Emphasises Importance of Small-Scale Refuges From Humans. In: Ecology and Evolution, Band 15, Artikel e71407. DOI: 10.1002/ece3.71407. Aus dem Englischen Übersetzt.